Das Haus der Statistik ist eine Ikone der Nachkriegsmoderne. Die unsichtbare Vergangenheit des Viertels, das erst zerbombt und dann mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht wurde, um Platz für den heutigen Komplex zu schaffen, ist jedoch fast vergessen. Dort, wo heute das Haus der Statistik steht, befand sich vor dem Zweiten Weltkrieg eine kleinteilige Nachbarschaft mit einem jüdischen Seniorenheim, die voller kreativer und zukunftsorientierter Energie steckte.
Eine Überlagerung des heutigen Hauses der Statistik und der Stadtstruktur vor dem Zweiten Weltkrieg.
© Geoportal Berlin, herausgegeben von R. Stein Wexler
Das jüdische Altenheim Gerlachstraße befand sich in der heute nicht mehr existierenden Gerlachstraße 18-21 (bis 1938 Lietzmannstraße). Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus beschlagnahmt und als Sammellager für altere jüdische Menschen genutzt, die in Konzentrationslager transportiert wurden. Zunächst wurden die über 250 Bewohner des Heims nach Theresienstadt deportiert. Im Laufe des Winters 1942-1943 wurden über 2.000 ältere jüdische Menschen hier festgehalten und anschließend in Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht.
Das einzige bekannte Foto der Bewohner*innen des Altenheims Gerlachstraße.
© Ein Jahr der Hilfe und des Wiederaufbaus. Herausgegeben vom Zentralkomitee der deutschen Juden für Hilfsmaßnahmen und Wiederaufbau. Berlin, 1934
Ende der 1960er Jahre wurden die nicht durch alliierte Bombardements zerstörten Gebäude und das alte Straßennetz abgerissen, um Platz für das Haus der Statistik und den DDR-Wohnkomplex Karl-Marx-Allee zu schaffen. Während das Altenheim 1955 unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist es seit seinem Abriss aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden.
Der Bau des Hauses der Statistik und der schrittweise Abriss des ehemaligen Viertels
© Archiv des Haus der Statistik
Seit 10 Jahren steht das Haus der Statistik mitten in Berlin leer.
Der ehemalige Sitz der Staatlichen Zentralverwaltung der Statistik (SZS) der DDR, ging mit der Wiedervereinigung Deutschlands in Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) über. Nach der Wende wurde das Haus der Statistik unter anderem durch den Dienstsitz der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes genutzt, auch Gauck- bzw. später Birthler-Behörde genannt. Die Behörden verblieben dort bis 2008. Seitdem steht der 45.000 m² große Gebäudekomplex leer.
Blick auf die Neubauten in der Karl-Marx-Allee – Nähe Alexanderplatz. Links das Haus des Reisens, in der Mitte die Hans-Beimler-Straße (heute Otto-Braun-Straße) und rechts das Haus der Statistik.
Die vorhandene Bausubstanz wurde als unvermarktbar eingestuft und somit Pläne für den Abriss zugunsten einer städtebaulichen Neuplanung formuliert.
2015 wurde eine Kunstaktion am Haus der Statistik inszeniert: die Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA), eine Gruppe engagierter Künstler:innen, brachte über Nacht ein großes Poster im Stile eines offiziellen Bauschilds an der Fassade an: „Hier entstehen für Berlin: Räume für Kunst, Kultur und Soziales“. Damit wurde die Diskussion um die Zukunft des Gebäudekomplexes in die Öffentlichkeit getragen.
Im Herbst 2015 veranstaltete der Berliner Senat ein Workshop-Verfahren zur städtebaulichen Neubewertung des Alexanderplatz. In diesem Zuge formte sich die Initiative Haus der Statistik, ein Bündnis von verschiedenen Berliner Akteur:innen: Soziale und kulturelle Einrichtungen und Verbände, Künstlerkollektive, Architekt:innen, Stiftungen und Vereine. Die Initiative entwickelte ein Konzept (hier als PDF), das vorsah den Gebäudekomplex integrativ in bezahlbaren Wohnraum (u.a. für Geflüchtete) sowie Arbeitsräume für Kunst, Kultur, Soziales und Bildung kosteneffektiv umzuwandeln und zu erweitern.
Um eine Rechtsform für eine vertragliche Zusammenarbeit mit potentiellen Partnern zu haben, ging 2016 die ZUsammenKUNFT Berlin – Genossenschaft für Stadtentwicklung aus der Initiative hervor.
2022 wurden die Außenwände des Hauses mit Kreide auf den Asphalt der Straße gemalt, und es wurden Mauern errichtet, die zeigen, wo das Haus einst stand.
© R. Stein Wexler
AndersErinnern ist ein kollektiver Erinnerungsprozess, der das Leben der ehemaligen Bewohner*innen des jüdischen Altenheims Gerlachstraße 18/21 in Berlin und ihr Schicksal in den Händen der Nationalsozialisten würdigt. Der Prozess ist eine Zusammenarbeit mit heutigen Berliner*innen, Anwohner*innen des Ortes, der Künsterlin R Stein Wexler, und institutionellen Akteuren, die in einem dauerhaften Erinnerungsstück im renovierten Haus der Statistik kulminieren wird.
Haus der Statistik is a post-war modernism icon. However, the area’s invisible past, that which was bombed and then bulldozed to make way for the current complex, is nearly forgotten. Prior to WWII, a small-scale neighborhood, including a jewish senior home, stood where Haus der Statistik buzzes with creative and future-oriented energy.
An overlay of present-day Haus der Statistik and the pre-WWII urban fabric.
© Geoportal Berlin, edited by R Stein Wexler
The Gerlachstraße Jüdisches Altenheim was located at Gerlachstraße 18-21 (Lietzmannstraße until 1938), a street which no longer exists. During WWII, the home was seized and used as a Nazi collection camp, “Sammellager,” for elderly Jews being transported to concentration camps. First, the home’s more than 250 residents were deported from their home to Theresienstadt. Then, over the course of the 1942-1943 winter, more than 2,000 elderly jewish people were held at this site and then transferred to concentration and extermination camps.
The only known photograph of the Gerlachstraße senior home residents.
© Ein Jahr Hilfe und Aufbau. Hrsg. vom Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau. Berlin, 1934
In the late 1960s, structures on the site that were not destroyed by Allied bombing as well as the former street grid were razed to make way for the DDR’s Haus der Statistik and Karl-Marx Allee residential complex. While the Altenheim had been requested to be listed under historic preservation in 1955, since its demolition it has since been erased from public memory.
Haus der Statistik being built and the former neighborhood being demolished, in phases.
© Haus der Statistik archives
In the middle of Berlin, Haus der Statistik stood empty for 10 years.
With Germany’s reunification, these former headquarters of the GDR’s State Central Statistics Administration (SZS) became the property of the Federal Real Estate Agency (BIMA). After the fall of the Wall, Haus der Statistik was used, among other things, by the headquarters of the Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (Federal Commissioner for State Security Service Documents), also known as the Gauck and later the Birthler authorities. The authorities remained there until 2008. Since then, the 45,000 m² building complex has been empty.
View of the buildings on Karl-Marx-Allee – near Alexanderplatz. On the left is the House of Travel, in the middle is Hans-Beimler-Strasse (today Otto-Braun-Strasse) and on the right is the House of Statistics.
The existing building structure was classified as unmarketable and plans were therefore formulated for demolition in favor of new urban planning.
In 2015, an art event was staged at Haus der Statistik: the Alliance of Threatened Berlin Studio Houses (AbBA), a group of artists, hung a large poster in the style of an official building sign on the facade overnight reading: “Here we are creating for Berlin: spaces for art, culture and social affairs,” thus bringing the future of the complex into the public eye.
In autumn 2015, the Berlin Senate organized a workshop for the reassessment of Alexanderplatz. In this context, the Haus der Statistik initiative was formed, an alliance of various Berlin actors: social and cultural institutions and associations, artist collectives, architects, foundations and clubs. The initiative developed a concept (here as a PDF) that envisaged converting and expanding the building complex into affordable housing (including for refugees) as well as spaces for art, culture, social affairs and education.
In order to have a legal form for contractual cooperation with potential partners, ZUsammenKUNFT Berlin – Cooperative for Urban Development emerged from the initiative in 2016.
In 2022, the outer walls of the home were painted with chalk on the asphalt of the street and walls were erected showing where the home once stood.
© R Stein Wexler
AndersErinnern is a collective remembrance process honoring the lives of former residents of the Gerlachstraße 18/21 Jewish senior home in Berlin, Germany and their fates at the hands of the National Socialists. The process is a collaboration with present-day Berliners, neighbors of the site, artist R Stein Wexler, and institutional stakeholders which will culminate in a lasting memory piece at the renovated Haus der Statistik.